Die Türkei setzt seit den siebziger Jahren das sogenannte
Südostanatolienprojekt (Güneydogu Anadolu Projesi - GAP), ein gigantisches
Staudammbauprogramm zur Gewinnung von Elektroenergie und Bewässerungswasser
um. Durch das Projekt sind die kurdischen Provinzen Gaziantep, Urfa,
Adiyaman, Malatya, Elazig, Tunceli, Diyarbakir, Mardin, Siirt, Batman
und Sirnak, Insgesamt sollen an Euphrat, Tigris und deren Nebenflüssen
21 Staudämme und 19 Wasserkraftwerke mit einer Kapazität von 8000
MW und einer jährlichen Elektroenergieerzeugung von 27.300 GWh errichtet
werden. Die durch GAP bewässerte Landfläche soll 1,76 Mio. ha betragen
(Hinz-Karadeniz/Stoodt 1993, Bosshard 1998a). Das Gesamtprojekt soll
32 Mrd. $ kosten (Bosshard 1998b).
Background: Since the 1970th Turkey is implementing
its so called "South Anatolia Project" (Güneydogu Anadolu Projesi
- GAP) - a gigantic dam project developed for energy production and
irrigation. The Kurdish provinces Gaziantep, Urfa, Adiyaman, Malatya,
Elazig, Tunceli, Diyarbakir, Mardin, Siirt, Batman und Sirnak are
the most affected regions. All together 21 dams and 19 hydro power
stations at the Euphrat and Tigris rivers are planned having an entire
capacity of 8 000 MW with an annual production of 27.300 GWh. The
whole area irrigated by the GAP will cover approximately 1,76 Mio.
ha (Hinz-Karadeniz/Stoodt 1993, Bosshard 1998a). The whole project
is estimated at $ 32 Mrd. (Bosshard 1998b).
Für die Finanzierung der Komponenten ist die Türkei
auf ausländische Geldgeber angewiesen. Da die Weltbank sich nicht
an GAP beteiligt werden andere Geldgeber gesucht. Für das derzeit
bekannteste und umstrittenste Projekt, den Ilisu-Staudamm am Tigris,
werden Exportkreditversicherungen benötigt. Eine solche Absicherung
ist seitens der Schweizer Exportkreditversicherung über eine Höhe
von ca. 300 Mio. $ (von insgesamt ca. 1,52 Mrd. $) im vergangenen
Jahr zugesagt worden. Auch in Deutschland sind Hermesbürgschaften
beantragt. Der folgende Beitrag soll Argumente zur Diskussion des
Projektes vor allem aus ökologischer Sicht beisteuern und helfen,
den Ilisu-Staudamm möglichst zu verhindern. Daneben sollen einige
Projekte außerhalb der GAP-Region kurz gestreift und in ihren ökologischen
Auswirkungen beleuchtet werden.
2. Kritik an Staudammprojekten
in Kurdistan
Das Projekt wird von vielen Seiten wegen seiner regionalpolitischen,
militärischen, sozialen, ökologischen, ökonomischen und Menschenrechts-Aspekte
äußerst kritisch gesehen. Durch das Auffüllen der Stauseen und die
extensive Nutzung von Flußwasser zur Bewässerung wird die Wasserführung
von Euphrat und Tigris um ca. 45 bzw. 10% reduziert und die Nutzbarkeit
für Syrien und den Irak massiv eingeschränkt. Zeitweise fiel während
des Füllens des Atatürk-Stausees der Euphrat fast trocken. Die Türkei
ist durch die Stauseen in der Lage, Syrien und den Irak politisch
zu erpressen. Aus diesen Gründen entschied die Weltbank 1984, sich
nicht an der Finanzierung von GAP zu beteiligen (Bosshard 1998b).
Das Südostanatolienprojekt verstößt in wesentlichen Komponenten gegen
die UNO-Konvention über die nichtschiffbare Nutzung internationaler
Wasserwege vom 21.5.97. Hinsichtlich seiner entwicklungspolitischen
und ökonomischen Ziele und Folgen ist GAP sehr bedenklich. Hauptentwicklungsziele
sind die Erhöhung des regionalen Einkommensniveaus, Devisenerwirtschaftung
durch exportorientierte Landwirtschaft und Sicherung der nationalen
Elektroenergieversorgung aus Wasserkraftwerken. Diese Ziele dürften
für sich genommen kaum zu realisieren sein, während weitere Ansprüche,
die an eine nachhaltige Regionalentwicklung zu stellen .
1 Nach anderer Quelle sind allein am Tigris 23 Staudämme
geplant, von denen bereits 5 im Bau sind (Bosshard 1998b).
2 An other sours talks about 23 dams planned only
at the Tigris river, 5 of them being already under construction (Bosshard
1998b).
wären, von vornherein außen vor bleiben. Einkommenssteigerungen
sind vor allem für die am Projekt beteiligten Firmen, türkische Eliten
und regionale Großgrundbesitzer zu erwarten. Die breite Masse der
Bevölkerung der Region wird durch das Projekt ihre ökonomische Situation
nicht verbessern können - im Gegenteil. Die nötigen betrieblichen
Grundlagen (Fläche, Technik, Agrochemikalien) für eine intensive Bewässerungslandwirtschaft
haben in erster Linie die Großgrundbesitzer. Kleinbauern mit geringem
Land- und Kapitalbesitz und Pächter können sich diese nicht leisten.
GAP fördert mit der Intensivierung die Konzentration in der Landwirtschaft,
Kleinbauern und Landlose verlieren ihre Existenz und sind zur Abwanderung
gezwungen. Die durch GAP geförderte Industrialisierung gibt nur für
einen Bruchteil der in die Städte geflüchteten Landbevölkerung Arbeitsplätze.
Viele der neue entstehenden Stellen werden mit besser qualifizierten
Arbeitskräften aus der Westtürkei besetzt. Die Exportorientierung
des Projektes macht dieses äußerst anfällig für Marktschwankungen.
Es gibt kaum einen ausreichenden Außenmarkt für die geplante Menge
landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Auch die Elektroenergierzeugung
aus Wasserkraft ist relativ teuer und daher von unsicherer Rentabilität.
Die schwierige ökonomische Situation der Türkei läßt den prognostizierten
Anstieg des Elektroenergiebedarfes fraglich erscheinen. Besonders
die Nichtbeachtung ökologischer und sozialer Folgekosten durch Umweltschäden
und erzwungene Migration macht das Projekt ökonomisch höchst riskant.
Eine nachhaltige Entwicklung im Sinne einer dauerhaft verträglichen
Nutzung der regionalen Ressourcen und der Verbesserung der ökonomischen
Situation breiter Bevölkerungsgruppen, besonders Unterprivilegierter
unter Mitbestimmung der Betroffenen findet nicht statt (Schindler
in Hinz-Karadeniz/Stoodt 1993).
Die Staudammprojekte haben eine hohe Bedeutung als
Komponente der „low intensity warfare". Auf ökonomischem Wege soll
der kurdischen Befreiungsbewegung der Boden entzogen werden. Teile
der Bevölkerung werden durch GAP aus ihrer Heimat vertrieben, andere
Gruppen werden durch ökonomische Vorteile, wie Arbeitsplätze und Einkommensmöglichkeiten,
zur Loyalität motiviert. Umsiedlungen und die Neuansiedlung türkischer
Arbeitskräfte verstärken die Assimilierung der kurdischen Bevölkerung.
Die Stauseen können eine Barriere für Bewegungen der kurdischen Guerilla
darstellen (WEED), die Umsiedlung tausender Menschen reduziert das
lokale Unterstützerpotential der Befreiungsbewegung. Durch die Flutung
von historischen Stätten werden aus Sicht vieler Menschen in der Region
und außerhalb gezielt Dokumente kurdischer Geschichte zerstört. Bei
den bisher umgesetzten Projekten wurde die lokale Bevölkerung nicht
an der Planung der Projekte und der Umsiedlungen beteiligt. Entschädigungen
erhielten nur Landeigentümer. Die große Masse der landlosen Bauern
ging leer aus und mußte ohne Existenzgrundlage in die Slums (vor allem
westtürkischer) Großstädte oder ins Ausland fliehen.
3. Umweltauswirkungen
der Staudammprojekte Von hohem Rang sind auch die
Umweltauswirkungen der Staudämme. Flüsse und ihr Umland sind in hohem
Grade voneinander abhängig und stehen in vielfachen Wechselwirkungen.
Die Folgen des Baus von Staudämmen wirken auf die gesamten Fließgewässerlandschaften.
Diese Effekte betreffen erstens das Fließgewässer und seine Aue selbst,
zweitens die gefluteten Territorien, drittens die Umgebung und die
Region der neuen Wasserkörper, viertens die Veränderung der Landnutzung
im Umland aber auch in der weiteren Region. Eine Gesamt-Umweltverträglichkeitsprüfung
fand für GAP nicht statt (Hinz-Karadeniz/Stoodt 1993). Weder existiert
eine systematische Aufnahme des ökologischen Zustandes der Region
noch wurden die zu erwartenden Änderungen der Ökosysteme analysiert
(Meyer in Hinz-Karadeniz/Stoodt). Lediglich für Teilaspekte wurden
UVP durchgeführt, die der Öffentlichkeit jedoch nicht zugänglich sind.
3.1 Auswirkungen auf die Flüsse
und ihre Ökosysteme
Der Charakter der Flüsse wird grundlegend verändert.
Nach Fertigstellung von GAP werden innerhalb der Türkei je etwa 50%
der ca. 750 km Fließstrecke des Euphrat und der ca. 325 km des Tigris
in Standgewässer umgewandelt sein. Dies hat gravierende Auswirkungen
auf diese Ökosysteme. Der Stoffhaushalt ändert sich dramatisch. Der
Eintrag von Sauerstoff ist geringer als bei fließendem Wasser. Das
Selbstreinigungsvermögen der Flüsse wird drastisch reduziert, Nähr-
und Schadstoffe reichern sich an. Der Sauerstoffgehalt des Wassers
sinkt insbesondere in den Sommermonaten. Die an das Fließgewässer
angepaßten Lebensgemeinschaften können in den Standgewässern nicht
existieren. Da in der Region natürliche Seen weitgehend fehlen, ist
kaum ein Einwandern an limnische Verhältnisse angepaßter Organismen
möglich. Die biologische Vielfalt nimmt daher drastisch ab.
Von besonderer Problematik ist die Unterbrechung des
Sedimenttransportes. In den von GAP betroffenen ariden bzw. semiariden
Gebieten werden bei Regenfällen große Mengen von Bodenmaterial erodiert,
welches in die Flüsse gelangt. Durch die Staudämme ist der Transport
dieses Sediments unterbunden. Die Stauseen entwickeln sich zu Sedimentfallen,
die von diesem Material innerhalb weniger Jahrzehnte aufgefüllt werden.
Im Rahmen von GAP sollen zwar Maßnahmen zum Erosionsschutz in Form
von Aufforstungen durchgeführt werden, um dem Problem der Sedimentation
zu begegnen. In der Realität ist davon in der Region nicht viel zu
sehen. Im Gegenteil, nahezu alle großen Waldgebiete werden durch die
Sicherheitskräfte seit Jahren systematisch geschädigt und vernichtet,
angeblich zur Bekämpfung des Terrorismus. Dabei werden die Wälder
mit Herbiziden vergiftet, regelmäßig kahlgeschlagen und aller größeren
Bäume entblöst sowie unter Einsatz von Brandbeschleunigern wie Napalm
abgebrannt.
Unterhalb der Staudämme kommt es durch fehlenden
Sedimentnachschub zu Erosion des Flussbettes und der Ufer. Das Flußbett
kann in kurzer Zeit mehrere Meter tiefer gelegt werden. Dieser Effekt
tritt im Bereich mehrerer zehn bis hunderter Kilometer unterhalb des
Dammes auf. Mit der Vertiefung des Flußbettes fallen auch die Grundwasserstände
in der Aue. Dadurch wird die natürliche Vegetation geschädigt, für
die Landwirtschaft kann Bewässerung erforderlich werden, Brunnen versiegen.
Bei verschiedenen Großstaudämmen wurde als Effekt ein Sedimentmangel
im Bereich der Flußmündungen beobachtet, der zu Erosion der Küsten
im Bereich der Ästuare führt. Dies wurde z.B. als Folge des Assuan-Staudammes
am Nil festgestellt. Die Unterbrechung des Sedimenttransportes durch
die Stauseen verändert auch die Zusammensetzung des Substrates am
Grund des Flusses. Die Fraktion des groben Kieses kann sich verringern.
Dies führt zum Verlust von Laichplätzen mancher Fischarten und des
Lebensraumes zahlreicher Wirbelloser wie Insekten, Mollusken und Krebstiere.
Die Staudämme des GAP-Projektes verändern und reduzieren
den Wasserabfluß flußabwärts erheblich. Dieser Effekt tritt insbesondere
während der Flutung der Stauseen, aber auch im laufenden Betrieb auf.
Die geplante Bewässerung von 1,7 Mio. ha Land im Rahmen des GAP-Projektes
wird erhebliche Wassermengen den Flüssen entziehen und damit besonders
in den wasserarmen Sommermonaten für stark verringerte Abflüsse sorgen.
Die Dynamik der Wasserstände wird weitgehend zerstört, indem die Abflußspitzen
zum Befüllen der Stauseen genutzt werden. Diese Dynamik ist jedoch
für lebensfähige Auen unabdingbar. Die Biozönosen der Fließgewässerlandschaft
sind an das Abfluß- und Überflutungsregime des jeweiligen Flusses
adaptiert. Die Pflanzen- und Tierwelt ist von diesen Zyklen in wesentlichen
Lebensfunktionen wie Fortpflanzung und Vermehrung, Ruhephasen und
Migration abhängig. Die saisonalen Überflutungen erfüllen mehrere
ökologische Funktionen: sie lagern nährstoffreiche Sedimente ab und
düngen damit die Aue, sie halten Altarme offen und füllen Feuchtgebiete
und Standgewässer der Aue mit Wasser auf. Auch die Ökosysteme der
Ästuare sind stark an die Periodik der Süßwasser- und Nährstoffzufuhr
adaptiert. Die Veränderung dieser Faktoren ist eine wesentliche Ursache
für den Rückgang der Erträge der Fischerei an der Küste. . Die Veränderung
des Abfluß- und Überflutungsregimes durch Staudämme gefährdet den
Fortbestand der Artenvielfalt der Fließgewässerlandschaft weit über
den Stausee hinaus.
Für temperaturempfindliche Organismen kann die niedrigere
Temperatur des Wassers aus tieferen Schichten des Stausees, welches
unterhalb des Staudammes in den Fluß gelangt schädlich sein.
Staudämme stellen Barrieren für wandernde Fließgewässerorganismen
dar. Dies wird auch nicht wie in Europa Standard, durch Fischtreppen
abgemildert. Somit werden jegliche Wanderungen von Fischarten unterbunden.
Darüber hinaus tragen die hinsichtlich der ökologischen Bedingungen
vom Fluß völlig verschiedenen Stauseen zu einer Fragmentierung des
Lebensraumes von Fließgewässerorganismen bei.
3.2 Veränderung der Flußlandschaften
Durch die Anlage der Stauseen werden die Flußtäler
und Auen geflutet. Damit verschwinden großräumig die vielgestaltigsten
Lebensräume dieses Raumes. Deren Funktion als Lebensraum mit einer
hohen biologischen Vielfalt geht unwiederbringlich verloren. Betroffene
Lebensräume sind neben dem fließenden Wasser unterschiedlicher Fließgeschwindigkeit
und unterschiedlichen Substrates vor allem Sand- und Kiesbänke, Weiden-
und Tamarisken-Auengebüsch und Auenwald, Steilufer und felsige Talhänge,
Steppen, Buschland und Wälder der Talhänge sowie eine vielgestaltige
Kulturlandschaft mit Wiesen, Gärten, Gehölzen und Äckern.
Mit dem Verlust der Auendynamik geht das gesamte
Lebensraumgefüge der Flußlandschaft verloren. Die sich mit der Zeit
an den Ufern der Stauseen einstellenden Ökosysteme sind denen des
Flusses nicht vergleichbar.
Die Flutung der über Jahrtausende gewachsenen Kulturlandschaften
an den Flüssen führt zu unwiederbringlichen Verlusten. Mit ihr werden
nicht nur archäologische und bauliche Zeugnisse dieser Region zerstört
sondern auch Landnutzungsmethoden, Gartenbautechniken und die genetische
Vielfalt alter lokaler Kulturpflanzensorten werden vernichtet.
3.3 Veränderungen des Umlandes
Welche Auswirkungen der Bau der großen Stauseen auf
die Umgebung hat, ist kaum untersucht. Veränderungen des lokalen und
regionalen Klimas durch die neuen großen Wasserflächen sind wahrscheinlich.
Die Stauseen wirken sich aus auf den Strahlungshaushalt, auf die Bewegung
und den Wärmehaushalt der Luftmassen sowie auf Feuchtigkeit und Niederschläge.
Ein Feuchterwerden des Klimas durch die hohe Verdunstung der Wasserflächen
ist möglich.
Im Umland der Stauseen bleibt der Grundwasserspiegel
ganzjährig auf relativ gleichbleibend hohem Niveau. Dies kann, durch
das Fehlen der Unterbrechung des kapillaren Aufstieges mineralreichen
Grundwassers in den Sommermonaten, zu Bodenversalzung führen. Dies
gilt besonders, wenn die Überschwemmungen, welche Salze auswaschen,
ausbleiben.
Der Südosten der Türkei zählt zu den seismisch relativ
aktiven Regionen, da hier die arabische und die anatolische Scholle
aufeinander treffen. Der Bau großer Stauseen ist in seismisch aktiven
Regionen besonders riskant und kann selbst zu einer Erhöhung der Erdbebenaktivität
führen. (Meyer in Hinz-Karadeniz/Stoodt 1993)
3.4 Auswirkungen durch Veränderungen der Landnutzung
Die von den Staudammprojekten betroffenen Gebiete
werden derzeit regional sehr verschieden genutzt. In weiten Teilen
spielt Regenfeldbau ohne Bewässerung eine große Rolle. Neben den häufig
relativ intensiv wirtschaftenden Großgrundbesitzern gibt es noch einen
nicht unbedeutenden Anteil von Kleinbauern (tw. Pächter), die in extensiver
Weise wirtschaften. Weite Gebiete mit steppenartiger Vegetation werden
als extensives Weideland genutzt.
Durch die Bewässerungsprojekte und die Vertreibung
großer Teile der ansässigen Bevölkerung werden diese meist der Subsistenz
dienenden Produktionsformen verdrängt. Traditionelle relativ umweltschonende
Landnutzungsformen mit hoher Vielfalt an Kulturen und Sorten und einer
reichen Kulturlandschaft verschwinden. Große Flächen werden in intensivem
Bewässerungsfeldbau mit Kulturen für den Export bestellt. Großen Raum
nimmt beispielsweise intensiver Baumwollanbau ein. Durch diese Intensivierung
steigt der Einsatz von Kunstdünger und Pestiziden sowie schweren Landmaschinen
mit allen bekannten negativen Auswirkungen für die Agrarökosysteme.
Die extensive Bewässerung birgt unter den ariden Verhältnissen eine
große Gefahr der Bodenversalzung. Dieser wird in der Regel durch „Spülung
der Äcker" und Ableitung des salzreichen Wassers entgegengewirkt.
Dieses Wasser erhöht dann den Salzgehalt von Flüssen und Standgewässern
mit gravierenden Folgen für deren Ökosysteme und die Nutzbarkeit des
Wassers. Ansammlungen von salzhaltigem Drainagewasser führen zur Entstehung
von Salzsümpfen.
Versalzung, Vernässung und Pestizideinsatz führen
zu gesundheitlichen Risiken für die Bevölkerung. Trinkwasser und Luft
werden belastet. Krankheitserreger z.B. von Malaria, Cholera und Leishmaniose
können sich ausbreiten. Mit den Staudammprojekten soll auch eine industrielle
Entwicklung in der Region befördert werden. Diese wird negative Auswirkungen
sowohl auf die biologische Vielfalt durch Flächenverbrauch und Verinselung
noch intakter Gebiete als auch auf den Zustand von Boden, Grund- und
Oberflächenwasser und Luft haben. Der niedrige Umweltschutzstandard
ist an in der Region vorhandenen Industrieanlagen wie Zementwerken,
Kupferbergwerken und Ölförderungsanlagen deutlich sichtbar.
4. Ergebnisse der Bereisung
1999 Im August 1999 wurde durch mich und einen Kollegen
die Projektregion besucht. Bei der Reise galt das Hauptaugenmerk den
Naturzerstörungen in Folge des Krieges gegen die kurdische Befreiungsbewegung.
Obwohl wir nur als Touristen in der Region auftraten, wurde unsere
Bewegungsfreiheit durch die türkischen Sicherheitskräfte massiv eingeschränkt
und wir zeitweise einer offensichtlichen Beschattung unterzogen. Ein
Aufsuchen kleinerer Städte oder gar Dörfer wurde seitens der Sicherheitskräfte
in der Regel untersagt. Eine Begehung von Flächen außerhalb von Ortschaften
war kaum möglich, da dies entweder von den Sicherheitskräften unterbunden
wurde oder uns die örtliche Bevölkerung mit Hinweis auf die Gefahr,
vom Militär beschossen zu werden, massiv davon abriet. Alle Beobachtungen
wurden daher quasi „im Vorbeifahren" bzw. bei kurzen Aufenthalten
gemacht. Weiterhin war die Jahreszeit (August) ungünstig, um den ökologischen
Wert der betroffenen Gebiete optimal einschätzen zu können. Es wäre
sinnvoll im Frühjahr eine Bereisung zur ökologischen Bewertung der
Projekte durchzuführen und im Vorfeld mit den türkischen Stellen die
Genehmigung zum Betreten der Gebiete zu klären. Dies könnte eventuell
in Kooperation mit dem türkischen Naturschutzverein DHKD geschehen,
der in der Vergangenheit häufig die Möglichkeit hatte, auch in militärischen
Sicherheits- und Grenzzonen biologische Untersuchungen durchzuführen.
Folgende Stauseen wurden aufgesucht:
GAP-Region:
Gespräche wurden mit örtlichen Einwohnern in Hasankeyf
und Provinz Dersim (Tunceli) sowie zahlreichen mittelbar betroffenen
Orten (z.B. Batman, Silvan, Diyarbakir), Vertretern des Menschenrechtsvereins
(Insan Haklari Dernegi - IHD) und des Naturschutzvereins (Dogal Hayati
Koruma Dernegi - DHKD) geführt.
4.1 Ilisu-Baraji (Hasankeyf) am Dicle Nehri (Tigris)
Der Ilisu-Staudamm soll ca. 65 km stromaufwärts von
syrischer und irakischer Grenze nahe bei der Stadt Dargeçit mit einer
Länge von 1820 m und einer Höhe von 135 m den Tigris aufstauen. Entstehen
soll ein See mit einer Fläche von 313 km² und einem maximalen Fassungsvermögen
von 10,4 Mrd. m³. Ziel des Projektes ist in erster Linie die Produktion
von Elektroenergie. Die Kapazität des Kraftwerkes soll 1200 MW betragen,
die jährliche Elektroenergieerzeugung 3800 GWh (Bosshard 1998). Die
Bedeutung für die Bewässerung landwirtschaftlicher Nutzflächen ist
gering. Es wird jedoch von DSI als eines von 13 Teilprojekten zur
Bewässerung genannt. (Hinz-Karadeniz/Stoodt 1993). Die genaue Fläche
des zur Bewässerung aus diesem Stausee vorgesehenen Landes ist nicht
bekannt. Größere Bedeutung für die Bereitstellung von Bewässerungswasser
hat der flußabwärts von Ilisu am Tigris laut Auskunft des Menschenrechtsvereins
(IHD) bereits im Bau befindliche Cizre-Stausee.
Trotz der vergleichsweise hohen Kosten von 1,3 Mio.
$/MW Kraftwerksleistung wurden Alternativen nicht umfassend abgeklärt
obwohl die verschiedenen Kritikpunkte des Projektes bereits seit langem
bekannt sind. Dies verstärkt den Eindruck, daß die Türkei mit dem
Projekt in hohem Maße auch innen- und außenpolitische Ziele verknüpft.
Der volkswirtschaftliche Nutzen und die Kosten (einschließlich indirekter
und Folgekosten) des Projektes werden daher nicht konsequent bilanziert.
Aktueller Zustand
Bei der Bereisung konnte das Projektgebiet in und
um die Stadt Hasankeyf sowie bei Batman und Siirt aufgesucht werden.
Die Stadt Hasankeyf bildet mit ihren alten Bauten, den Steilufern
des Tigris mit vielen Höhlenwohnungen, den Ruinen der Tigrisbrücke
und der von Felswänden und flachen Hängen begleiteten Tigrisaue ein
Landschaftsbild von herausragender Schönheit. Kurz vor Einfahrt in
die Stadt aus Richtung Midyat liegen an der Straße größere Militärgelände.
Die Stadt macht einen relativ vernachlässigten Eindruck. Offensichtlich
wurde seit Jahren nicht mehr nennenswert investiert. Auch die zahlreichen
Baudenkmale sind stark vernachlässigt. Dennoch ist der hohe kulturhistorische
Wert sowohl der Einzeldenkmale als auch es gesamten Ensembles unverkennbar.
Diesem würde der geplante Abbau und Wiederaufbau an anderer Stelle
von einzelnen Baudenkmalen nicht gerecht werden. Der Denkmalcharakter
der Gebäude wäre damit nach denkmalpflegerischen Kriterien ohnehin
nicht mehr gegeben. Zudem würde diese Form der „Rettung" angesichts
der Bauweise und des Erhaltungszustandes zu immensen Verlusten an
Originalsubstanz führen.
Am Tigrisufer sind zahlreiche Menschen. Frauen waschen
Wäsche, Kinder spielen im Wasser, auch Erwachsene baden im Fluß, am
Ufer auf der Seite von Hasankeyf befinden sich zahlreiche Restaurants
als einfache Holzgerüste mit Laubdach im Wasser. Die Menschen leben
an und mit dem Fluß. Ein stehendes Gewässer wie der geplante Stausee
könnte diesen nicht ersetzen. Das Wasser eines Stausees wäre hinsichtlich
seiner Qualität dem des fließenden Flusses weit unterlegen. Auch hinsichtlich
des ästhetischen Wertes könnte ein Stausee nicht mit dem lebendigen
Tigrisfluß konkurrieren. In dem stehenden Gewässer werden sich Fäkalien
und Schadstoffe anreichern und Mücken entwickeln.
Die Wasserqualität des Tigris ist vom optischen Eindruck
her gut. Trotz sommerlichen Niedrigwassers sind weder Verschmutzungen
noch Abwasserpilze oder Ansammlungen nährstoffliebender Algen zu erkennen.
Der Fluß ist fischreich.
Die Tigrisaue ist in diesem Bereich relativ schmal.
Der Fluß wird, vor allem auf der rechten Seite, zum Teil auch beidseitig,
von steilen Felswänden begleitet. Seitentäler sind oft steil schluchtartig
eingeschnitten. Flußaufwärts von Hasankeyf gibt es in der Aue zahlreiche
Gehölze, v.a. Weide. Oberhalb des regelmäßig überfluteten Bereiches
befinden sich Gärten und Ackerflächen. Besonders flußabwärts von Hasankeyf
befinden sich größere Ackerbaugebiete im zur Flutung vorgesehenen
Bereich. In der Umgebung von Hasankeyf wurden auf Grund der Jahreszeit
und des kurzen Aufenthaltes kaum Vögel beobachtet (Mittelmeer-Steinschmätzer,
Wiedehopf, Blauracke, einige Kilometer entfernt Schmutzgeier). Die
vielgestaltige Landschaft des Tigristales läßt jedoch eine gegenüber
dem Umland wesentlich höhere biologische Vielfalt erwarten. Dies gilt
für Flora und Fauna. Relativ kleinräumig wechselnde Substrate, Feuchtigkeitsverhältnisse
und Expositionen sowie die geomorphologische Dynamik der Aue schaffen
eine Vielfalt unterschiedlichster Lebensräume in unmittelbarer Nachbarschaft.
Gespräche:
In Gesprächen mit der örtlichen Bevölkerung zeigte
diese sich gut informiert über die allgemeinen Fragen des Projektes
und die internationalen Diskussionen über die Finanzierung. So wurde
berichtet, daß an der Finanzierung Deutschland, Großbritannien, Schweiz
und Österreich beteiligt seien. wegen der historischen Bedeutung von
Hasankeyf wären die Briten bereits abgesprungen, in den anderen Ländern
laufe die Diskussion noch. Bei einigen Gesprächspartnern bestand daher
Hoffnung, daß der Bau nicht finanzierbar würde, andere meinten, es
würde in jedem Falle geflutet. Von fast allen Gesprächspartnern vor
Ort wurde das Projekt abgelehnt. Nur ein Gesprächspartner erwartete
positive ökonomische Effekte für die lokale Bevölkerung, er bedauerte
dennoch die Zerstörung der Kulturschätze. Über den Bedarf an der künftig
produzierten Elektroenergie hatten die Gesprächspartner sehr verschiedenene
Ansichten. Allgemein verbreitete Meinung ist, daß der türkische Staat
durch das Projekt (ökonomisch unnötig) ganz gezielt eines der wesentlichen
Zeugnisse der kurdischen Geschichte zerstören will. Die Kenntnisse
über die konkrete Planung des Projektes, das Ausmaß des Stausees,
die Evakuierung und Fragen der Entschädigung waren sehr vage. Es wurde
davon ausgegangen, daß die höchsten Minarettspitzen noch aus dem Wasser
herausschauen würden. Eine Beteiligung der Bevölkerung an der Planung
hat offensichtlich nicht stattgefunden. Die Kenntnisse schienen eher
aus überregionalen Medien zu stammen. Wenn in der wichtigsten betroffenen
Stadt bisher keinerlei öffentliche Beteiligung erfolgte, ist davon
auszugehen, daß diese auch in kleineren Siedlungen völlig fehlt.
Auf ein Gespräch mit Vertretern der Stadt bzw. der
Kaymakamlik (Kreisverwaltung) wurde verzichtet, um unser Auftreten
als Touristen nicht unglaubwürdig zu machen. In der Stadtverwaltung
von Diyarbakir wurde davon gesprochen, daß durch den Stausee etwa
5000 bis 10000 Menschen aus Hasankeyf umgesiedelt werden müßten und
zahlreiche Dörfer geflutet würden. Genaue Zahlen waren nicht bekannt.
Laut Stadtverwaltung Diyarbakir werden allein in der Provinz Siirt
123 Siedlungspunkte den Fluten zum Opfer fallen. Es wird davon ausgegangen,
daß die Vertriebenen zwar in irgendeiner Form entschädigt werden,
die Höhe der Entschädigung aber nicht ausreichen würde, um den Verlust
zu kompensieren. Man geht davon aus, daß die wirtschaftliche Lebensdauer
des Wasserkraftwerkes nur etwa 15 bis 20 Jahre beträgt und bereits
nach etwa 40 Jahren der Stausee weitgehend vom Sediment aufgefüllt
ist .
Auswirkungen:
Generell gelten für den Ilisu-Stausee auf Grund seiner
Dimension (derzeit größter Stausee in der Türkei) alle in 3. genannten
ökologischen und sonstigen Auswirkungen in besonderem Maße. Daher
werden im Folgenden nur einige wesentliche ökologische Auswirkungen
nochmals hervorgehoben. Lediglich die direkten Auswirkungen auf die
Landwirtschaft im Umland werden im Vergleich zu den Staudämmen am
Euphrat vergleichsweise gering sein. Eine großflächige Bewässerung
landwirtschaftlicher Flächen aus diesem Stausee ist nicht geplant
.
Der Stausee wird auf etwa 120 km Länge den Tigris-Strom
in ein stehendes Gewässer umwandeln. Dies hat immense ökologische
Folgen. Die ökologischen Funktionen des Flusses gehen verloren. In
dem stehenden Gewässer ist durch die verminderte Selbstreinigungsfähigkeit
die Gefahr einer Verschmutzung durch Einleitungen aus den Großstädten
Diyarbakir, Batman und Siirt außerordentlich hoch. Die Einwohnerzahlen
dieser Städte sind in den letzten Jahren massiv gewachsen. Diyarbakir
hat derzeit etwa 1 Mio. Einwohner gegenüber 0,5 Mio. 1995! Damit einher
gehen massive Müll- und Abwasserprobleme. Kläranlagen gibt es bisher
nicht. Lediglich für Diyarbakir ist der Bau solcher geplant. In wiefern
dadurch real eine Verschmutzung des Stausees zu vermeiden ist, darf
angesichts der rasant wachsenden Bevölkerung, der desolaten Infrastruktur
und des Fehlens entsprechender Vorhaben für die anderen Städte und
den ländlichen Raum bezweifelt werden. Eine große Gefahr (sowohl für
den Tigris als auch den geplanten Ilisu-Stausee) stellt die Ölförderung
um Batman dar. Kontaminationen von Grund- und Oberflächenwasser sind
wahrscheinlich, da im Bereich der Förderanlagen starke Verschmutzungen
durch Öl zu beobachten sind. Diese Verschmutzungen befinden sich zum
Teil im unmittelbaren Einzugsgebiet des Stausees.
3. In der UVP gibt es keine verläßlichen Daten zur
Sedimentationsrate. Gerechnet wird mit max. 20% Verlust an Volumen
in 50 Jahren und 80- bis 100- jähriger wirtschaftlicher Lebensdauer
des Projektes. Allerdings wird bei Stauseen die Geschwindigkeit der
Auffüllung mit Sediment oft unterschätzt (Bosshard 1998b).
4. Im RFE/RL IRAQ Report, Vol.2, No. 26, 16 July 1999
heißt es allerdings: According to an article that appeared in the
May issue of „Tuerkey Business and Finance" Ilisu will also store
water for irrigation.
5.Zahlreiche befragte Gesprächspartner gaben eine
Einwohnerzahl von bereits 1,5 Mio. an.
Der Staudamm hätte massive Auswirkungen auf den Sedimenthaushalt
des gesamten Tigris. Unterhalb des Dammes ist eine verstärkte Tiefen-
und Seitenerosion zu erwarten. Dies führt zur Tieferlegung des Flußbettes
und dem Absinken des Grundwasserspiegels. Die Zunahme der Seitenerosion
führt zum Verlust auch von Kulturland und kann Bauwerke, wie Brücken,
gefährden. Die Unterbrechung des Sedimenttransportes würde Auswirkungen
bis zum Mündungsgebiet in den persischen Golf haben. Abflußdynamik.
Die Auenlandschaft des Tigris würde völlig zerstört. Mit der Überflutung
von 15 Kleinstädten und 52 Dörfern, von Gärten und Auengehölzen, Wiesen,
Weiden und Feldern, Kiesbänken und Steilufern ginge eine außerordentlich
reiche Kulturlandschaft verloren.
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