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Staudammprojekte in der Türkei und Kurdistan


 
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Reisebericht von Stefan Michel

Inhalt :

4.2 Batman Baraji

(Malabadi Köprüsü) am Batman Çayi Der Batman-Stausee am Batman Çayi konnte an der Staumauer bei der Malabadi Brücke und einige km nördlich aufgesucht werden. Der Stausee ist noch im Bau. Die Staumauer selbst ist weitgehend fertiggestellt. Die Kanäle, welche künftig das Bewässerungswasser ableiten sollen und die Wasserkraftanlage werden noch gebaut. Der Batman Stausee hat eine Länge von max. etwa 23 km. Oberhalb schließt sich der Silvan-Stausee an. Wieweit der Bau dieses Dammes derzeit gediehen ist, war von den lokalen Leuten an der Malabadi-Brücke nicht zu erfahren. Offensichtlich ist die Information und Beteiligung der örtlichen Bevölkerung völlig ungenügend.

Der Damm sperrt das Tal des Batman Çayi wenige hundert Meter oberhalb der historisch außerordentlich wertvollen Malabadi Brücke. Die Brücke wurde im 12. Jahrhundert errichtet und überspannt den Fluß in einem 35 m weiten Spitzbogen. Durch den neu errichteten Damm ist das Umfeld der Brücke stark beeinträchtigt. unterhalb der Brücke ist die Flußaue vor allem von Kies- und Schotterbänken geprägt. Am Rand der Aue sind Siedlungen gelegen. Weiter flußabwärts befinden sich Gärten und Ackerflächen. Das Umfeld des Stausees ist von waldsteppenartiger Vegetation geprägt. Etwa 50 bis 200 m² große Eichengruppen (max. 35 cm Stammdurchmesser) sind in eine beweidete Steppenlandschaft eingestreut. Vielfach wurde zwischen den Baumgruppen Getreide angebaut. Der See hat die gesamte Aue geflutet, Ufervegetation fehlt völlig. Einige angebliche Zivilpolizisten erklärten im Gespräch, daß in zwei Jahren Strom produziert werden soll. Die Bewohner der gefluteten Dörfer seien mit Geld entschädigt worden. Über die Zahl der betroffenen Dörfer bzw. Menschen war keine Information zu bekommen. Der Bauplatz ist relativ großräumig mit Stacheldraht eingezäunt und durch einen größeren Jandarma-Posten sowie einheimische Hilfspolizisten gesichert. Seitens der Jandarma wurde behauptet, daß in der Region aktuell die Guerilla aktiv wäre, erst kürzlich seien 5 Personen gesichtet worden. Der Zutritt zur Baustelle wurde mir untersagt, lediglich einige Kilometer oberhalb des Dammes konnte der Stausee aufgesucht werden.

Durch den Batman-Stausee wurden neben mehreren Dörfern und der Kulturlandschaft des Batmantales auch zahlreiche historische Zeugnisse vernichtet. Überflutet wurde zum Beispiel die etwa 8000 Jahre alte Siedlung Çemi Tepesi aus der Hallan-Zeit, ein Fundplatz aus dem frühen akeramischen Neolithikum (Stoodt in Hinz-Karadeniz/Stoodt 1993).

4.3 Göksu Baraji und Region um Diyarbakir

An der Strecke von Diyarbakir nach Mardin befindet sich etwa 35 km südöstlich von Diyarbakir der etwa 5 km lange Göksu-Stausee. Er speichert das Wasser eines kleinen Nebenflusses des Tigris und dient vorwiegend der Bewässerung. Von dem Stausee wird ein größerer Bewässerungskanal gespeist, der große Schläge mit Wasser versorgt. Eine wesentliche Kultur ist Baumwolle. Der Stausee liegt in einer gehölzarmen hügeligen Steppenlandschaft, eine Ufervegetation fehlt. Dem gegenüber zeigt das Göksu-Tal unter- und oberhalb des Stausees eine vielfältige Kulturlandschaft mit Weiden, Wiesen und Gärten, Pappelwäldchen und kleinen Gehölzen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Stausee eine intakte Kulturlandschaft hoher Diversität zugunsten eines artenarmen Standgewässers und großflächiger landwirtschaftlicher Monokultur vernichtet hat. Allerdings sind bei derartigen relativ kleinen Speichern die Auswirkungen relativ lokal und eher überschaubar, als bei den Großprojekten. Unter den Bedingungen einer von Großgrundbesitz dominierten Agrarstruktur kommt ein möglicher ökonomischer Nutzen nur wenigen zu Gute.

Die Region um Diyarbakir wurde vor allem während der Fahrt nach Mardin in Augenschein genommen. Das Land wird großflächig mit Getreide bebaut. Die Größe der Schläge läßt annehmen, daß es sich bei dem größten Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche um Großgrundbesitz handelt. In die Flächen sind größere überwiegend aus Wirtschaftsgebäuden bestehende Anwesen eingestreut. Vielfach sind Investruinen größerer Landwirtschaftsgebäude zu sehen, ein Zeichen, daß die wirtschaftlichen Probleme der Region auch vor den Großgrundbesitzern nicht haltmachen. Die Dörfer entlang der Hauptstraße sind noch bewohnt und unter militärischer Kontrolle. In bewässerungsfähiger Lage wird großflächig Baumwolle angebaut, eine Kultur, die besonders große Umweltrisiken durch die Gefahr der Bodenversalzung und starken Pestizideinsatz aufweist.

Stauseen außerhalb von GAP

4.4 Keban und Kara Kaya Baraji an Firat Nehri und Murat Nehri

Die beiden Stauseen wurden nur während der Fahrt von Kovancilar nach Elazig bzw. auf der Zugfahrt von Diyarbakir nach Ankara gestreift. Eingehendere Untersuchungen waren daher nicht möglich. Interessant ist, daß im besichtigten Bereich beiden Stauseen eine nennenswerte Ufervegetation fehlt. Sie wirken wie Fremdkörper ohne bedeutende Lebensraumfunktion in der Landschaft. Außer einigen Großmöwen aus der Silbermöwenverwandschaft wurden keine Vögel beobachtet. Auch an den tw. trockengefallenen Ufern des Keban-Stausees wurden keine Limikolen beobachtet obwohl eine gewisse Bedeutung als Rastgebiet für diese Gruppe nicht auszuschließen ist.

Zu den Auswirkungen dieser Stauseen gehören die Zerstörung hunderter Dörfer und die Überflutung zahlreicher archäologischer Stätten.

4.5 Staudamm am Munzur Çayi bei Tunceli

Bei dem Besuch der Provinz Dersim (Tunceli) wurde festgestellt, daß sich am Munzur-Fluß ein Staudamm im Bau befindet. Etwa 15 km südlich der Provinzhauptstadt sind derzeit die seitlichen Verankerungen des Dammes und Tunnelröhren im Bau. Auch die Brücken über Seitentäler für die notwendige Verlegung der Straße nach Tunceli werden derzeit errichtet. Anhand dieser Bauten ist abzuschätzen, daß der Stausee vermutlich fast bis an die Stadt reichen soll.

In dem (ehemals) weitgehend bewaldeten Bergland von Dersim liegen wesentliche Garten- und Ackerflächen in der Munzur-Aue. Diese würden ebenso wie mehrere Dörfer der Flutung zum Opfer fallen. Die reich strukturierte Flußlandschaft des Munzurtales mit Kiesbänken, Auengehölzen, Gärten und Feldern wird zerstört werden und die Region wesentlich an ästhetischem und ökologischem Wert verarmen. In der bereits durch den flußabwärts gelegenen Keban-Stausee stark beeinträchtigten Region ist ein weiterer Verlust frei fließender Flußstrecke nicht vertretbar. Für zahlreiche Organismenarten, besonders Fische und Wirbellose, wird die Verkleinerung bzw. Vernichtung des Lebensraumes zum Aussterben dieser führen.

Aus der lokalen Bevölkerung war zu erfahren, daß das Projekt der Stromerzeugung dienen soll. Allerdings wurde ein Bedarf für diese Elektroenergie in Frage gestellt, insbesondere aufgrund des massiven Bevölkerungsrückganges der Provinz als Folge der Zerstörung nahezu aller Dörfer durch türkische Sicherheitskräfte. Für die Bevölkerung der Region hat der Munzur Çayi eine hohe kulturelle Bedeutung, tw. wird er als heilig verehrt. Das Staudammprojekt hat daher auch eine wesentliche innenpolitische Komponente zur Befriedung dieser Region, die bereits seit mehr als 60 Jahren bis zum heutigen Tag Brennpunkt kurdischer Aufstände und türkischer Unterdrückung und Assimilationspolitik ist. Durch den Stausee werden weitere Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren und zur Abwanderung gezwungen. Andererseits werden qualifizierte Arbeitskräfte aus der Westtürkei angesiedelt werden. Dadurch wird die Region weiter türkisiert werden. Der Stausee dürfte auch Bewegungen der Guerilla erschweren. Eigentümer von Land im Stausee-Bereich sollen finanziell entschädigt werden. Allerdings wird von Betroffenen berichtet, daß die Entschädigungen weit unter dem tatsächlichen Wert des Verlustes liegen und keinerlei Beteiligung bzw. Einspruch zu den Planungen zugelassen wurde. Besonders in dieser Region, in der selbst kulturelle Veranstaltungen verboten sind, gegen die verbliebenen Dörfer ein Lebensmittelembargo besteht, Äcker und Weiden außerhalb der Orte nicht betreten werden dürfen und nächtliche allgemeine Ausgangssperre besteht, hat die lokale Bevölkerung keinerlei Möglichkeiten, derartige Projekte zu beeinflussen.

4.6 Staudamm bei Yusufeli am Çoruh Nehri

Das Gebiet von Yusufeli in der Provinz Artvin ist Standort eines geplanten Stausees zur Elektroenergieerzeugung. Nach Aussagen des Naturschutzvereins (DHKD) sind die Planungen bereits weit fortgeschritten und die Chancen für einen Stopp des Projektes gering. Allerdings sind vor Ort bisher keine Baumaßnahmen zu beobachten. Konkrete Informationen über das Projekt liegen uns bisher nicht vor.

Das von dem Staudamm betroffene Gebiet des Çoruh und Altiparmaktales gehört zu den landschaftlich reizvollsten und biologisch vielfältigsten Gebieten der Türkei. Die Täler haben bis zu mehrere hundert Meter hohe steile Felswände. Die Aue wird landwirtschaftlich und gartenbaulich genutzt. Eingestreut sind Pappel- und Weidengehölze. Die Talhänge weisen eine reiche Flora mit zahlreichen Gehölzarten auf. Mit dem Bau eines Staudammes wären mit Sicherheit drastische Eingriffe in die Ökosysteme des Tales verbunden. Darüber hinaus sind auch großräumige ökologische Schäden, z.B. durch Veränderung des Abflußverhaltens und Unterbrechung des Sedimenttransportes zu erwarten.

Es sollten dringend genauere Informationen über das Projekt, seine Ziele, Auswirkungen und den gegenwärtigen Stand der Planungen gesammelt werden, um ggf. zu versuchen, den Bau zu verhindern.

5. Schlußfolgerungen

Die während der Bereisung aufgesuchten Staudammprojekte sind sämtliche als schädlich aus ökologischer und sozialer Sicht einzustufen. in allen Fällen sind weitreichende ökologische Schäden zu befürchten. Auch durch nachträgliche Änderungen der Planungen wäre keine wesentliche Reduzierung dieser Schäden zu erreichen. Die lokale Bevölkerung wurde nicht in die Planungen einbezogen. Die Umsiedlungen erfolgen ohne ausreichende Entschädigung und soziale Absicherung. Die Vertreibung der Bevölkerung durch den Bau der Stauseen ist als Menschenrechtsverletzung einzustufen. Die Staudammprojekte helfen nicht, eine nachhaltige Entwicklung der Region einzuleiten. Im Gegenteil, sie verschärfen die Krise in der Region und veranlassen weitere Tausende von Menschen zur Flucht. Aus den genannten Gründen sind die Staudammprojekte abzulehnen. Die europäischen Regierungen sollten die Staudammprojekte nicht finanziell absichern, sondern sich bei der türkischen Regierung für die Verhinderung des Baus neuer Dämme und eine Schadensbegrenzung bei den vorhandenen bzw. im Bau befindlichen Anlagen einsetzen.

6. Literatur: -

  • Bosshard, P. (1998a): The Ilisu-Dam project in Turkey.
  • Ilisu - a Test Case of International Policy Coherence.
  • Berne Declaration. www.rivernet.org - Bosshard, P. (1998b): Das Ilisu-Projekt: Ein Testfall für die Kohärenz der schweizerischen Aussenpolitik.
  • Erklärung von Bern. www.evb.ch. - Hinz-Karadeniz, H. und Stoodt, R. (Hrsg.) (1993): Die Wasserfalle - Vom Krieg um Öl zum Krieg um Wasser: Aufstieg und Fall eines Großprojektes in Kurdistan. Gießen. 190 S. darin: - Meyer, Th.: Von der Beherrschung der Natur zur Schadensbegrenzung. S.52-63. - Schindler, S.: Die Logik der Entwicklungsmanie. S. 74-99. - Stoodt, R.: Das aussichtslose Rennen der Archaeologie. S. 64-73.

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